Politische Prozesserklärung der Angeklagten – Hausbesetzung Hotel „Goldener Hirsch“

Am 26.02. um 09:00 Uhr Morgens standen drei Aktivist*innen vor dem Rosenheimer Amtsgericht. Angeklagt waren sie im Falle Hausfriedensbruch und Widerstand, aufrgund einer Hausbesetzung am 13.04.2023 in Rosenheim. Die Ursprüngliche Forderung der Staatsanwaltschaft Traunstein war  90 Tagessätze a 15 Euro pro Person. Nun wurden die Angeklagten nach Jugendstrafrecht zu jeweils 50 Sozialstunden und drei 5 Seitigen Aufsätzen verurteilt.
Zum Beginn des Prozesses verlasen die drei eine politische Prozesserklärung, welche wir hier spiegeln wollen:

Vergangenen Dezember fanden drei gelbe Briefe ihren Weg in unsere
Briefkästen. Post von der Staatsanwaltschaft Traunstein, ein
Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch und Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte. 1.350 Euro Strafe sollen wir jeweils zahlen.
Strafe, dafür, dass wir die bestehende Wohnraumkrise in Rosenheim
kritisierten und praktisch bekämpfen wollen. Strafe dafür, dass wir
das leerstehende Hotel „Goldener Hirsch“ in der Rosenheimer
Innenstadt besetzt haben.
Ja, wir haben dieses Haus besetzt. Wir lehnen aber eine Verurteilung
wegen der Besetzung entschieden ab.
Ein riesiges Haus, welches seit Jahren leersteht und seit unserer
Räumung auch wieder leer steht, nimmt seinen Platz mitten in der
Innenstadt ein. Seit der Besetzung hat sich wenig verändert,
Rosenheimer*innen kämpfen immernoch mit Mietpreisen,
Immobilienkonzerne fahren immernoch unglaublich hohe Profite ein
und unsere politische Haltung und Meinung hat sich auch nicht
verändert.
Rosenheim war und ist eine der teuersten Mittelstädte Deutschlands,
was Wohnraum und Mieten angeht. Der bange Blick auf den
Kontostand gehört für viele Menschen in den Alltag. Das heißt, die
Sicherung grundsätzlicher Bedürfnisse wie Essen oder Wohnen, ist
schon längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Anstatt dieses
offensichtliche Problem zu thematisieren und anzugehen, stoßen die
Gentrifizierungsprozesse in Rosenheim (und andernorts) immer weiter
in neue Dimensionen vor. Dass in einer Stadt, in der es eh schon an
bezahlbarem Wohnungen mangelt, über Jahre ein so riesiges
Gebäude leer stehen kann, ist eine Katastrophe. Auch von der
geplanten Kernsanierung, von der der Hausbesitzer Herr Karl spricht,
ist nicht viel zu erkennen, außer diese gleicht bildlich einem
spekulativen Leerstand.
Die Realität vieler anderer Rosenheimer*innen, keinen Platz in der
Stadt zu finden bzw. aus ihren jetzigen Wohnungen vertrieben zu
werden, scheint beim sogenannten „Schutz“ von Privateigentum
keine Rolle zu spielen.
Es macht uns traurig, nochmal den Blick auf das leerstehende Hotel
Goldener Hirsch zu werfen. Hier sieht man zum einen viel
ungenutzten und eigentlich benötigten Raum in der Stadt, gleichzeitig
fängt man an sich zu fragen: Selbst wenn das Gebäude renoviert oder
abgerissen und etwas neues gebaut werden könnte, was würde wohl
entstehen? Neue Luxus Apartments, wie sie gerade im Rahmen des
Bauvorhabens Roxy in der Innenstadt entstehen, oder neue
Ein-Zimmer Apartments mit den „schlanken“ Einstiegspreisen von
560€, wie sie gerade rund um den Bahnhof geplant sind? Es ist keine
Überraschung, dass von städtischer Seite seit einiger Zeit (und mit
fortschreitender Gentrifizierung) versucht wird, Gründe für das
zunehmende Ladensterben und den Leerstand in der Innenstadt zu
finden. Dabei würde ein kleiner Stadtspaziergang und ein Besuch
beim Hotel zum Goldenen Hirsch schon Antworten geben.
Wir sind überzeugt, eine Stadt, die zu teuer für ihre Einwohner*innen
ist, kann nicht „leben“. Auch die neuesten Mobilitäts- und
Urbanistik-Konzepte, werden nicht die Lösung des Problems sein,
wenn diese „Verdrängung und Wegzug“ heißen. Eine Stadt muss und
kann lebenswert für ihre Bewohner*innen sein, und nicht nur für die,
die sich um Geld keine Sorgen machen müssen.
Also was ist schon eine Hausbesetzung gegen die Verdrängung vieler
Rosenheimer*innen und den Verlust ihrer Wohnungen? Was ist schon
eine Hausfriedensbruch im Gegensatz zu einem System das dafür
verantwortlich ist, dass unzählige Menschen am Ende des Monats
entscheiden müssen ob sie die Miete nicht zahlen können oder kein
Essen mehr auf den Tisch bringen?
Wir kennen es alle: Politiker*innen, die ein Lippenbekenntnis nach
dem anderen abgeben, die leere Versprechen abgeben, sich endlich
um die prekäre Wohnsituation zu kümmern. Aber in Deutschland,
einem Land, welches von sich selbst behauptet, ein schwerer
Verfechter der Menschenwürde zu sein, ändert sich offensichtlich an
den menschenunwürdigen Zuständen nichts. Klar, sobald Wohnraum
als Möglichkeit erkannt wird Profite zu erwirtschaften, wird der
Zugang zu Wohnraum, besonders für marginalisierte
Personengruppen, erschwert. Ein System, das in Kauf nimmt, dass
täglich Menschen auf die Straße gesetzt werden, um eine bestehende
wirtschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten, ist unserer Meinung
nach weit weg von einer „Achtung der Menschwürde“.
Es ist illegal, Häuser zu besetzen und so ein Zeichen gegen diese
bedrückenden Verhältnisse zu setzen. Wieso ist es aber legal, ein
Haus in der Innenstadt, jahrelang leerstehen zu lassen, während so
viele vergeblich nach bezahlbarem Wohnraum suchen? Wir wissen
Besseres, als uns für soziale Sicherheit auf den Staat zu verlassen.
Wir sind wütend. Anstatt die katastrophale Wohnraumsituation in
Rosenheim zu bekämpfen, zeigen sich Stadt, Polizei und
Staatsanwaltschaft von ihrer bekannten Seite. Am Tag der Besetzung
waren 92 Polizist*innen aus ganz Bayern eingesetzt. Sie bereiteten
sich mehrere Stunden auf dem Bahnhofsvorplatz vor, um das Haus
zu räumen. Sie bauten eine unglaubliche Drohkulisse auf, in Riotgear,
Kettenhemden und Schildern stürmten sie das Haus lautstark, noch
während Verhandlungen, ob wir freiwillig rauskommen, liefen. Dass
das für drei Jugendliche, die friedlich in dem Haus Kekse futterten
und Tee tranken völlig unverhältnismäßig war, darüber müssen wir
nicht reden. Über eine Stunde mussten wir dann nur in Unterwäsche
in den kalten Zellen der Rosenheimer Polizei verbringen. Und jetzt
sehen wir uns auch noch mit einer Staatsanwaltschaft konfrontiert,
die uns schon allein wegen politischem Interesse, kein
Jugensstrafrecht geben möchte und uns als Schüler und
Student*innen, 90Tagessätze à 15 Euro reindrücken will.
Es ist in Rosenheim keine Neuigkeit, dass emanzipatorische
Bewegungen mit unverhältnismäßiger Härte bekämpft werden. Wir
wissen, dass sie uns von unserem politischen Engagement abbringen
wollen, indem sie versuchen, uns mit Anzeigen und hohen
Geldbussen einzuschüchtern. Aber der Preis dafür, dass wir nichts
mehr gegen diesen Zustand machen, wäre dass alles so kalt bleibt
wie es ist. Und das wollen wir nicht.
Als Jugendliche bzw. junge Erwachsene sollen wir vor der Entscheidung
stehen, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen. Welchen Job wir mal
machen wollen, wo wir mal wohnen wollen, was als nächstes
kommen soll. Aber wenn wir an unsere Zukunft denken, haben wir
vorallem Angst. Angst vor sich immer weiter ausbreitenden
faschistischen Bewegungen, Angst vor der Klimakrise, die langsam,
aber sicher, unsere Existenzgrundlagen zerstört und davor, dass wir
uns das Leben, schlicht nicht leisten können werden. Wir können
nicht einfach hier sitzen und hinnehmen, dass alles so bleibt wie es
ist. Wir wollen nicht zusehen, wie unsere Lebensgrundlagen immer
und immer teuerer werden, sodass wir uns bald nicht mal mehr mal
den Dreck unter den Fingernägeln leisten können. Und auch weil
diese Zustände für viele Menschen bereits bittere Realität sind,
müssen wir kämpfen, für eine Welt, in der keine mehr Angst haben
muss, ob sie bis zum Monatsende Essen auf den Tisch bekommt
oder ob das Geld noch für die Miete reicht. Wir wollen nicht weniger
als eine Welt frei von kapitalistischen Zwängen und das gute Leben
für Alle. Unser Widerstand bleibt legitim, weshalb wir einen Freispruch
fordern!
Eine Verurteilung heute, würde sich in den seit Jahren verschärfenden
Kurs der deutschen Justiz, die emanzipatorische Bewegungen seit
jeher zu bekämpfen versucht, nahtlos einreihen. Eine Verurteilung
würde heute nicht weniger bedeuten, als den Kampf gegen
Wohnraum, der für alle zugänglich ist, gegen eine Bewegung, die für
menschenwürdige Verhältnisse kämpft und vor allem gegen die
Jugend zu führen.